Schnösel in Shanghai

Gerade lese ich “In China essen sie den Mond”, den Shanghai-Erfahrungsbericht der Stern-Autorin Miriam Collée. Er beginnt temporeich und lustig. Das Überwältigtsein in Anbetracht der fremden Kultur, die über der kleinen Familie (Vater Mutter Tochter) zusammenschwappt, der pure Wahnsinn, den man als Neuankömmling an jeder Straßenecke erlebt – all das kommt sehr gut rüber.

Die Autorin erlebt Shanghai natürlich komplett anders als ich, denn ihre ganze kleine Familie zieht mit Sack und Pack um, und es geht um Wohnungssuche, Wohnungsreperaturen, Kindergartenpatzsuche usw… Man hat zwar das Gefühl, dass hier und da ein bisschen übertrieben wurde, doch das habe ich in meinem Reisebericht dem Erzähltempo zu liebe ja ebenfalls gemacht.

Man möchte meinen, der Familie passieren nur Unglücke. Das WC gibt den Geist auf, Plastikteile brechen, Eisenteile rosten, Nachbarn nerven. Und schon bald fängt das hysterische Geschreibsel an zu nerven, da es stellenweise mehr über das Leben einer Hamburger Medienschnösel-Familie aussagt als über das Leben in Shanghai. Die Mutti-Mischung aus Ökos, Yuppis und “normalen Menschen” vor dem Expat-Kindergarten bezeichnet die Autorin doch allen Ernstes als “von allem etwas dabei”. Kein Wunder, denn als “normaler Mensch” muss für sie wohl auch ihr Gatte gelten, der sich allen ernstes weigert, Chinesisch zu lernen, da der Singsang der Sprache für ihn – haltet euch fest – “tuntig” klingt. Die meiste Zeit scheint er auch damit zu verbringen, seinem Porsche hinterher zu weinen, den er in seiner Hamburger Alstervilla stehen lassen musste. Ihn kann auch sein Fahrer mit der Großraumlimousine nicht trösten, den er für nen Appel und ‘n Ei zur Verfügung gestellt bekommen hat.

Der abschätzige Ton, mit dem die Autorin alles unterlegt, fängt schnell an zu nerven. Die Essstäbchensteuer mit der der enorme Verbrauch von hölzernen Wegwerfstäbchen eingedämmt werden soll (an sich ja eine der vielen interessanten Informationen in ihrem Buch) gilt ihr nur als “putziger” Umweltschutzversuch. Die spärlich bekleideten asiatischen Teenie-Girlies sind allesamt “Luder”. Mehrmals erwähnt sie die Angst, ihre blonde Tochter würde entführt oder gemeuchelt werden.

“Meine Güte!” möchte man der guten Frau zurufen, “Hättest du dich halt einmal bei Google informiert, bevor du deine Familie umsiedelst!” – oder zumindest nicht die Ratschläge von Leuten ignoriert, die schonmal dort waren. Oder vorher schonmal ein fremdes Land außerhalb eines 4-Sterne-Hotels besichtigt. Stattdessen wird der Leser Zeuge des zunehmenden Nervenzusammenbruchs der Autorin, die natürlich nicht auf mangelhafe Sanitäreinrichtungen und dilletantisch installierte Klimaanlagen vorbereitet war. Erst als sie 60-Euro-Wein in einem Nobelrestaurant genießt ist sie wieder stolz und glücklich auf ihr Leben in Shanghai.

Solche “Kulturbotschafter” haben uns gerade noch gefehlt. Selten hatte ich beim Lesen eines Buches das Bedürfnis die Autorin zu ohrfeigen: Die Grundvorraussetzung für interkulturelles Verständnis, das Treiben in einem fremden Land nicht als falsch sondern neutral als “anders” zu betrachten, geht ihr ab. (Ja, ich weiß dass auch Frau Collée das hier lesen kann, wenn Sie danach googelt…).

Ich werde ihr Buch dennoch zu Ende lesen. Vermutlich kommt im dritten Akt dann noch der Katharsis-Moment und zum Glück ist den Chinesen egal, was die Langnasen denken.

Anlage A: Ein professionellerer Verriss des Buches beim hessischen Rundfunk 🙂

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