Zhongshan Park
[gesprochen: dschongschan]
Heute ist es sonnig, wenn auch nicht gerade warm. Der Winter hat eben auch in Shanghai endlich Einzug gehalten. Dennoch mache ich einen Spaziergang in den nahegelegenen Park, der am Wochenende sehr gut besucht ist. Am Eingang begrüßt mich natürlich die obligatorische Haibao-Statue, um die herum sich heute diverse Verkäufer platziert haben. Auf Decken oder von ihrem Fahrrädern aus haben sie CDs, Mangas, Spielzeugpistolen, Schals und lebendige Hamster im Angebot.
Drinnen im Park gibt es an jeder Ecke neue Eindrücke, so dass ich mich wie jemand fühle, der zum ersten Mal in seinem Leben einen Supermarkt betritt. Linkerhand hat sich eine kleine Menschentraube um zwei Männer versammelt, die Schnulz-Karaoke singen, rechterhand übt jemand (mit Betonung auf “übt”) auf seiner Tuba. Ein Kerl im Seidenpyjama macht Tai-Chi oder vielleicht Kungfu-Bewegungen (zumindest will er cool dabei aussehen), während sich neben ihm bereits ein paar ältere Herren und ein kleines Kind aufwärmen um es ihm gleich zu tun. Ein Dutzend Fotostudenten sucht nach passenden Winkeln, aus denen sie ein Modell knipsen können, dass sich verträumt im dicken Pulli an einen kleinen Baum mit gelben Blättern schmiegt.
Mehrere Pärchen spielen in der Kälte ein bisschen Badminton hin und her, andere kuscheln sich auf Parkbänken zusammen. Ein Mädchen trägt eine große Wollmütze mit Panda-Ohren. Ein paar Schritte weiter lässt jemand einen Drachen steigen, und als ich zum Himmel blicke staune ich nicht schlecht. Ein gutes Dutzend Drachen schwebt nahezu regungslos in der Luft, einige davon so hoch wie ich noch nie einen Drachen gesehen habe. Es müssen mindestens 200 Meter sein. Die Hochhäuser drumherum wirken fast näher. Auf einer großen Wiese stehen sie, die Drachendomteure, und haben es sich wie Angler auf kleinen Klappstühlen und mit Thermoskanne gemütlich gemacht. Wie sie es schaffen, dass sich ihre Schnüre nicht überschneiden, ist mir ein Rätsel.
Laute Musik schallt mir entgegen, und eine Baumreihe weiter sammeln sich wieder Menschentrauben um Karaokesänger sowie eine ganze Kapelle, vor der eine Frau Arien schmettert. Ein Passant steht still und abseits da, und dirigiert mit einem Stöckchen zur Musik vor sich hin.
50 Meter weiter, auf einem gepflasterten Platz, tanzen mehrere Dutzend Paare Chachacha. Von Jung bis Alt ist alles vertreten, und die ganz Alten stehen immerhin da und wiegen sich leicht im Takt. Daneben hat jemand chinesische Schritfzeichen und einen Haibao mit Wasser auf den Beton gemalt, und Passanten studieren sein Werk, das sich zu dieser Jahreszeit nicht ganz so schnell verflüchtigt wie im Sommer. Ich werde wieder einmal daran erinnert, dass ich hier totaler Analphabet bin. Steht dort “Ich wünsche euch einen schönen Tag” oder “Auf, Genossen, der Arbeiter- und Bauernstaat wird siegen”? Ich weiß es nicht, und es ärgert mich, dass mir dadurch ein tieferer Einblick in die Gesellschaft verwehrt bleibt.
Auf dem Rückweg kaufe ich bei einem der Händler noch etwas, das aussieht wie kleine kandierte Äpfel am Spieß. Ich beisse rein und erwische erstmal einen Kern. Der Rest schmeckt sauer, die Glasur ist ziemlich hart. Eine chinesische Kollegin klärt mich auf: Es ist Weißdorn mit Honigglasur. Auf den ersten Biss lecker, aber wie alle diese Jahrmarktsleckereien wird man ihrer überdrüssig bevor man sie komplett verspeist hat 🙂
Chinesisch Essen 4
Im SZ Magazin ist ein interessanter Artikel erschienen über einen deutschen Sternekoch, der sich intensiv mit der chinesischen Küche befasst hat. Soweit ich es als reiner Essenskonsument hier beurteilen kann ist alles wahr, was er sagt 🙂 Besonders, dass Chinesen dem Essen einfach eine ganz andere Bedeutung zuordnen, also einer für die gesamte Runde einfach ein paar Speisen ordert von denen jeder mitisst und am Schluss einer die Rechnung begleicht.
Interessant ist auch, mit welchen Gewürzen gearbeitet wird, und wieso die Chinarestaurants in Deutschland null mit der richtigen chinesischen Küche zu tun haben.
Eine gute Gelegenheit, alle Essensfotos loszuwerden, die sich inzwischen angesammelt haben. Rechts im Bild handelt es sich um den “Hot Pot”, eine Schüssel mit zwei getrennten Seiten, in denen eine Gemuesebrühe und eine scharfe Brühe vor sich hinkocht. Wie beim Fondue werden allerlei Sachen reingeworfen. Anders als beim Fondue verteidigt hier aber niemand seine Brocken bis auf’s Blut, sondern man fischt einfach drin rum und schaut was wieder auftaucht.
Links haben wir einen typischen Restaurantbesuch, zu dem uns Kunden eingeladen haben. Es ist hier üblich, dem Gast Respekt zu zollen, indem man erstmal gehörig auffahren lässt. Je mehr übrig bleibt, so scheint es, desto mehr respektiert einen der Gastgeber. Reis bestellt man übrigens immer extra, und das scheinen auch hauptsächlich nur Westler zu machen.
Solche Hygieneschilder hängen in fast allen Restaurants. Bedenkt man die enorme Lobbyarbeit der Gastroverbände, wenn es bei uns um Raucher- und Nichtraucherbereiche geht, so möchte ich gar nicht wissen, wie groβ das Getöse wäre, wenn man in Deutschland derartige Schilder anbringen müsste. In China interessiert es allerdings auch niemanden, dass ein Lokal einen roten Smiley hat 🙂
Nanpu Bridge
Eines der ersten Bilder, das ich von Shanghai hatte, war diese Brücke, die ich auf dem Weg vom Flughafen in die Innenstadt überquerte. Um mehr als 360 Grad dreht sich die mehrspurige Auffahrtsstraße der Nanpu Bridge – so genannt, weil sie die Bezirke Nanshi und Pudong verbindet – im Kreis.
Da es seit kurzem das Amt für Wetterbeeinflussung gut mit Shanghai meint, und nasskalte 5 Grad wieder auf angenehme 15 Grad angestiegen sind, mache ich mich auf den Weg, um diesen Architekturwahnsinn nochmal näher anzuschauen.
Die Gegend ist einfach seltsam. Eine brandneue Metrostation steht hier, doch unter der Brücke fühlt man sich 2 Jahrzehnte zurück versetzt. In einem Park befinden sich eine Statue, die in ihrer heroisch-futuristischen Stahlpose entweder an Perry Rhodan oder Stalin erinnert, sowie diverse Werbeplakate für die Armee. Eine Straßenecke weiter wird gerade ein Eckgrundstück abgerissen, doch in den Ruinen scheinen noch Menschen zu wohnen. Zumindest eine Näherei befindet sich noch im Erdgeschoss. Kinder spielen auf dem Gehsteig. “Hello” rufen sie mir fröhlich auf Englisch zu, als ich vorbei gehe. “Ni hao” erwidere ich, und muss den Kopf schütteln über die Menschen hier und ihre Gegensätze.
Taikan Lu
In einem Irrgarten aus Hinterhöfen und kleinen Gassen abseits der Taikan Lu hat sich ein Künstler- und Galerienviertel etabliert, das einen Besuch wert ist. Es sind viele asiatische und angenehm wenig westliche Touristen unterwegs, die meisten Läden sind leer, und dennoch werde ich von den VerkäuferInnen weder ungefragt beschwatzt noch zum Kauf von Jadestatuen und Rolex-Fakes animiert. Nein, das hier ausgestellte hat durchaus Stil, doch wer weiß ob die “locally designed” Seifenschalen und stylischen Nudelschüsseln und Stäbchen tatsächlich das Geld wert sind, für das sie hier angeboten werden, oder ob es das selbe nicht nächsten Sommer im IKEA-Katalog gibt. Auch scheinen sich zu viele der hier ausstellenden Fotografen auf das Prinzip “Schwarzweiß-Foto mit einem farbigen Blickfang” spezialisiert zu haben.
Es gibt auch zahlreiche kleine Restaurants, die auf westlich getrimmt sind, mit Speisekarten auf Schiefertafeln und Lounge-Atmosphäre. Alles schonmal gesehen. Fast so, als gäbe es irgendwo ein Franchise-Unternehmen, das weltweit die selben Künstlerviertel aufstellt. Und dennoch finde ich es gemütlich hier. Das kann mir auch ein Shorts tragender Tourist nicht vermiesen, der mich beinahe umrempelt, als er wie ein Dampfross um eine Ecke schießt, im Anblick der Lampions seine Spiegelreflex hochreißt und ohne stehen zu bleiben losknipst. Vermutlich lädt er das Bild im selben Moment noch auf flickr hoch, wo es sich zu tausenden dieser Art von Fotos gesellt, die tausende Andere vor ihm bereits an dieser Stelle gemacht haben. (Manche werden das Foto später am Computer entsättigen, und nur die roten Lampions farbig lassen. Dutzende flickr-Kommentatoren werden das dann faszinierend finden. Aber ich schweife ab…. 🙂 )
Zum Mittagessen kehre ich in der “Kommune” ein, einer Bar/Lounge/Restaurant-Kombination mit nettem dunklen Holzinterieur. Ein junges Volk sitzt mit Macbooks rum und surft im WiFi. Ich bestelle mir das Curry des Tages, das in einer stylischen Nudelschüssel serviert wird. Es schmeckt gut. Ich frage die Kellnerin nach Stäbchen, diese ist irritiert und meint, da müsse sie erst in der Küche fragen.
STOP. Es reicht. Ich komme mir vor wie in einem freundlichen potemkinschen Dorf, einem Disneyland, das man genau für Leute entworfen hat, die solches Ambiente nett finden. Ja, ich gehöre dazu. Aber es verströmt gleichzeitig ein Gefühl von Künstlichkeit in diesem ansonsten so wuselnden, stinkenden, lauten, kontrastreichen Shanghai. Ich biege um ein paar Ecken, und stehe zwischen zwei langen Reihenhäusern, die wie das Künstlerviertel gebaut, jedoch trist weiß verputzt sind. Die paar Menschen dort beachten mich nicht. Ich komme mir vor, als hätte ich das Bühnenbild verlassen und würde nun einen Blick auf die Rückseite einer Kulisse werfen. Ich kehre mit schlechtem Gewissen um, verlasse die Gassen und rufe ein Taxi.
Die Taikan Lu hat durchaus ihren Reiz. Ein bisschen Tollwood-Flair. Aber sie ist letztenendes eben eine Location, die sich genau darauf spezialisiert hat, in jedem Reiseführer erwähnt zu werden, und die sich so asiatisch und westlich zugleich gibt, dass sie uns Touristen gut gefällt. Mir auch. Bis zu einem gewissen Grad eben.
Die dubiose Ecke
Heute ging es mit der gesamten Belegschaft zu “Großmutters Restaurant”, mal wieder traditionell speisen. Ein Drehteller steht auf dem Tisch, und unsere chinesische Office-Dame bestellt einmal quer durch die Speisekarte. Grüne Bohnen in Wasabisoße, Tofu süß-sauer, Curry-Fischsuppe, Erdnüsse in Sojasoße, Fleischscheibchen mit Chilis, und so weiter und so fort. Highlight des Abends: die Ganze Hühnersuppe, die ihrem Namen alle Ehre macht. Ich passe, und die meisten chinesischen Kollegen ebenfalls.
Für den Rückweg zum Hotel möchte ich ein Taxi nehmen, merke dass ich in einer mehrspurigen Einbahnstraße in die falsche Richtung stehe, und entscheide mich für den Fußmarsch durch Seitenstraßen. Die Entscheidung überdenke ich bereits nach ein paar Metern, denn die wenig beleuchtete Seitenstraße erzeugt zum ersten Mal seit meiner Ankunft in Shanghai ein mulmiges Gefühl in mir. Doch noch gibt es hier genügend kleine Läden, in denen noch Betrieb herrscht. Vor einem Eisenwarenhandel schweissen ein paar Leute an einem Taxi herum.
An der nächsten Kreuzung, einem kleinen Platz, der mit Open-Air-Grills noch richtig belebt ist, müsste ich links ab – doch hier greift nun endgültig mein Fluchtreflex. Die Gasse ist pechschwarz.
Also laufe ich weiter geradeaus, und auch hier bin ich bald alleine unterwegs. Ein Müllhaufen türmt sich an einer Mauer auf. Die Dächer der anliegenden niedrigen Häuser sind voller Gerümpel und Gerüste. In einer Behausung, die man nur als Verschlag bezeichnen kann, läuft ein alter Fernseher, der seinem einzigen Zuschauer das Bild beinahe vollständig durch heftiges Rauschen vorenthält. Ich biege um eine Ecke in die nächste größere Straße, die mich – wenn mich die Orientierung nicht täuscht – wieder eher Richtung Hotel bringen wird.
Hier laufe ich plötzlich neben adretten Mauern, an einem Tor zu irgendeiner Akademie stehen sogar Soldaten Wache. Dennoch sind meine Schritte bestimmter und hastiger. Noch eine weitere Straßenecke, und ich bin wieder in bekanntem Terrain, in der Nähe von Büro und Hotel. Hier sind noch Gemüseläden hell beleuchtet, und Mütter kaufen mit ihrem Kind auf dem Arm um Mitternacht noch Grünzeug ein.
Rückblickend war mein mulmiges Gefühl wohl übertrieben. Zig Taxis kamen mir auf meinem Weg entgegen, und alle Passanten waren eher Pärchen auf dem Heimweg. Ich habe zu viele Filme geguckt, und schon verselbständigen sich die ewig gleichen Bilder von Seitengassen, in denen das Böse lauert… Ich glaube nicht, dass man Grund hat, sich in Shanghai unsicher zu fühlen. Sagt zumindest der Lonely Planet. Und der muss doch Recht haben 🙂